René Carcan, Art Profil 1 / 2000

René Carcan wurde 75 Jahre alt

René Carcan wäre in diesem Jahr 75 geworden. Er wurde 1925 in Brüssel geboren und gehörte zu den Künstlern, die die Radierung perfektionierten und ihre einen neuen, zeitgemäßen Ausdruck gaben.  Nach Carcans tod, im Jahr 1993, wurde in seiner Heimatstadt Brüssel ein Museum eröffnet, das sich dem Lebenswerk widmet und darüber hinaus Arbeiten von Künstlern zeigt, die sich um die Radierung verdient gemacht haben.

In den ehemaligen Werkstatt- und Wohnräumen Carcans ist ein Querschnitt durch dessen Schaffen zu sehen. Die Werkzeuge, die Radierpresse und die Chemikalien sind so präsent als hätte er eben die Stätte seines Wirkens verlassen. Letzte dingliche Zeugnisse von der Arbeit eines großen Künstlers, die auf uns gekommen sind. In dieser Form haben sie fast die gleiche Bedeutung wie die Ruinen der untergegangenen, geheimnisvollen Zivilisationen, die oft in Carcans Arbeiten auftauchen. Jene Arbeitsgeräte erzählen von der künstlerischen Vision, die durch die ausgeklügelte handwerkliche Technik eine wirkungsvolle Ausdrucksform erhält, von der Kunst, eine echte Radierung herzustellen, mit drei, vier und noch mehr Platten, eine Kunst, die heute in der Zeit des rasterfreien Druckverfahrens und des Giclée-Printing obsolet geworden zu sein scheint. An der Wirkungsstätte Carcans wird jedoch klar, wie unentbehrlich – gerade heute – die von Künstlern hergestellte Graphik ist und dass jene Aura der überlieferten graphischen Techniken nicht durch den Computer erzeugt werden kann.

Carcan gehörte zu den Schülern Johnny Friedlaenders, in dessen Pariser Atelier er in den Jahren zwischen 1960 und 1965 gearbeitet hat. Zahlreiche Reisen, vor allem nach Florenz und Rom, schulten seinen Blick für die Meisterwerke der Malerei und für die großen Maler, denen er in zahlreichen Werken huldigte. Vielleicht war es gerade dieser Einfluss, der prägend für seine Palette war, die sehr stark durch Tierra di Siena und Ocker bestimmt wurde.

Carcan lenkte den Blick des Betrachters auf die innere Welt, die Welt der Phantasie und des Surrealen. Beobachtungen aus der Natur formte er zu inneren Bildern um und machte damit deutlich, dass hinten dem für das Auge Sichtbaren eine Ebene liegt, die nur vom Künstler gesehen werden kann. Diese für das menschliche Auge unsichtbare Welt verknüpfte er mit kosmologischen Symbolen und Schriftzeichen aus anderen Kulturen, wie z. B. mit ägyptischen Hyroglyphen.

Carcan suchte in seinen Arbeiten nach dem Wesen des Menschen. Geheimnisvolle Architekturen verweisen auf unbekannte Zivilisationen, die vor der unseren existiert haben. Die Torbögen und Obelisken, die als Ruinen auf uns gekommen sind, erzählen von der Vergänglichkeit des Daseins.

Diese philosophischen Gedanken sind in den Blättern Carcans zu erahnen. Das warme, meditative Timbre verbreitet dabei eine Ruhe, die sich auf den Betrachter auswirkt. Es ist bemerkenswert, dass die menschliche Figur in Carcans Blättern bestenfalls eine Staffagefunktion hat. Im Gegensatz hierzu dominieren Architekturteile und vor allem Bäume. Himmelserscheinungen entfalten ein eindrucksvolles Spiel. Himmel, durch die ein rätselhaftes Licht dringt, dessen Quelle in einer anderen Sphäre des Seins zu vermuten ist.